Vertiefungen
Aufwertung der Städte und öffentlichen Räume durch die Neugestaltung des Außenbereichs.
Einer der während des Interviews mit Giovanni La Varra auf der Mailänder Designwoche im vergangenen Jahr behandelten Punkte betraf ein auch heute noch aktuelles Thema: „Nach der Pandemie wieder von der Stadt und ihren Einrichtungen Besitz ergreifen.”
Geführt wurde das Interview von Giorgio Tartaro, der gemeinsam mit dem Architekten einige der hochaktuellen Fragen bezüglich der Zukunft von Outdoor-Bereichen in der städtischen Architektur von Mailand untersuchte.
Das Architekturbüro Barreca & La Varra hat dazu beigetragen, das Erscheinungsbild der Stadt im Einklang mit einem sozial nachhaltigen Fußabdruck zu verändern, indem es den Fokus seiner Arbeit auf den sozialen Wohnungsbau setzte. Ziel war dabei, Wohnungen zu schaffen, die die Außenbezirke der Stadt aufwerten und urbane Umgebungen im Dienste der Gemeinschaft wiederbeleben.
Ein entsprechendes Beispiel ist der neue, vom Architekturbüro entworfene Mailänder Stadtteil Aria, der sich in den beiden eindrucksvollen auf der Nordseite liegenden Hallen des ehemaligen Schlachthofs befindet und eins der wichtigsten sozialen Wohnungsbauprojekte in Europa verkörpert. Das für die Ansiedlung junger Generationen, von Familien, ausgelegte Projekt stellt eine echte Wohnraumdienstleistung für das Stadtviertel und die Stadt bereit. In diesem Fall geht die Sanierung historischer Gebäude weit über die Erneuerung eines Ortes hinaus. Vielmehr ist es die Schaffung eines auf Heritage und Kreislaufwirtschaft basierenden Raums, in dem Studenten und Einwohner die Stadtgestalter eines nachhaltigen Wohnens auf der Grundlage integrativer Erfahrungen sowie eines innovativen Zusammenlebens und einer kollaborativen Zwischennutzungen sind.
Die Orte, Geschichte und Beschaffenheit von Aria entstehen aus der Sanierung der alten Tunnel, Hangars, Lager und Produktionslinien des ehemaligen Schlachthofs, die zu einer einzigen offenen und fließend ineinander übergehenden, in ständiger Transformation befindlichen Umgebung werden. Ausgehend von dieser Überlegung haben wir uns mit dem Architekten La Varra dem Thema des großen Wandels bezüglich der Vorstellung von Projekten und neuen Lösungen für die Nutzungszwecke öffentlicher Gebäude beschäftigt, die Außenbereiche heute ganz besonders in den Fokus rücken und zu Protagonisten der zeitgenössischen Architektur machen.
War das schon vor dieser Ära ein Trend, sich bei einigen modernen Gebäuden, auch Firmensitzen, vom „Boden zu lösen“, von denen dann ein kleiner Teil der Gemeinschaft überlassen wird: also eine Entscheidung, sich der Öffentlichkeit zu öffnen?
Das ist keine wirklich bewusste Entscheidung, sondern das Ergebnis eines resilienten Vorgehens, einer Planung, die sich an den Umstand angepasst hat, und dank derer wir gelernt haben, die Invasion des Außenbereichs kontrolliert zu lenken. „Die Möbelmesse „Salone del Mobile" hat uns den Umgang damit gelehrt. Sie belegte die Innenhöfe und Erdgeschosse und man hat festgestellt, dass sich Invasion durchaus lenken lässt. In vielen Bürogebäuden werden die Personen außen empfangen, ihre Anliegen verwaltet, ohne dass diese in das „Herz“ des Gebäudes gelangen. Das Erdgeschoss wurde so zu einer Art Schwamm, in den das „Außen“ eintreten und wo es kontrolliert werden kann."
Zu den zentralen Themen unserer Überlegungen gehört auch das Projekt der Grünanlagen, das von einem Kompendium zum primären Punkt beim Erstellen sinnvoll angelegter Wege und Wohnsituationen geworden ist. Es gibt eine ganz konkrete Studie über die Besonderheiten der Verhaltensweisen während den unterschiedlichen Jahreszeiten: Hat diese zu einem neuen Bewusstsein beim Outdoor-Projekt geführt?
Laut Giovanni La Varra ist das Thema Grünanlagen eine Frage ihrer Beschaffenheit und dynamischen Größe: „das Grün stellt seine Anforderungen, hat bestimmte Zeiten und Größen – ist ein richtiger Bewohner.“
Darüber hinaus gibt es einen zweiten Punkt, d. h. die Tatsache, dass wir heute weit mehr über Grünanlagen und ihre wohltuende Wirkung auf unser Leben wissen. Wir sehen uns mit einer weit verbreiteten und wesentlich bewussteren Kultur, was die Bedeutung von Grünflächen und deren Integration in unser Leben zu unterschiedlichen Tageszeiten anbelangt, konfrontiert und „in diesem Sinne können jetzt auch Innenhöfe, die einmal Parkplätze und Abfallsammelplätze waren, zu Mikrolandschaften mit unglaublichen Ressourcen werden“.
Apropos der Bedeutung von Grünflächen im architektonischen Sanierungsprojekt der Stadt – ein weiterer wichtiger Punkt ist die gestalterische und durchdachte Nutzung von Outdoor-Bereichen. Ein Beispiel dafür ist der Bosco Verticale (Vertikale Wald), ein Projekt, an dem das Architekturbüro Barreca & La Varra beteiligt war, und das in gewissem Sinne die Grenzen der Fassade in den Fokus gerückt und ihnen Bedeutung beigemessen hat.
„Die Grenzen und Hindernisse einer Fassade sind ein sehr wichtiges Thema. Wir sanieren gerade Gebäude, die für die Weltmeisterschaften der neunziger Jahre gebaut und nie genutzt wurden, fast ausschließlich für die soziale Nutzung und mit Blick auf den Südpark. Eins unserer vorrangigen Themen war, dass alle Loggien ein Vorhangsystem erhalten sollten, um so praktisch ein Zusatzzimmer bereitzustellen, eben einen Raum mehr, oder über eine eine Loggia, einen Balkon, der sich je nach Bedarf der Familie und des Klimas nach außen öffnen oder schließen lässt. Thematisiert wird eine Architektur aus leichten Elementen, die zuvor dem einzelnen Bewohner anvertraut waren und nun zum Container für den sprachlichen Reichtum des Hauses werden können."
Es gibt ein größeres Bewusstsein für den Außenbereich und die beim Entwurf zu respektierenden Dekorationslinien. Bezüglich der Materialien setzt der Architekt La Varra bei dessen Untersuchung sein Augenmerk auf zwei Ansichtspunkte: „Ein Material muss so gewählt und verarbeitet werden, dass es seine Natürlichkeit bewahrt. Das Material wird auf seine Zukunft, aber auch auf seine Vergangenheit hin untersucht. Es geht darum, den normalen Verfall vorwegzunehmen, zu lernen, diese Natürlichkeit, die wir in die Architektur eingliedern, aufzunehmen und handzuhaben. “
Wie kontrollieren Sie die Details auch in großen Maßstäben? Die Antwort auf diese Frage könnte man mit „Weniger ist mehr“ zusammenfassen. Je weniger komplizierte Details man zeichnet, desto besser. „Das Geheimnis besteht darin, Details zu minimieren und in einigen Punkten alles auf Kreativität zu setzen und dabei zu versuchen, auf eine gute Art und Weise gewöhnlich zu sein.
Ein weiterer wesentlicher Punkt ist der Dialog mit allen an der Gestaltung des Gebäudes beteiligten Akteuren. Wichtig sind ein gewisser Einklang und das Wissen darüber, was verhandelt werden kann“.
Design, Grünanlage, soziale Funktion und Zusammenarbeit: Das sind also die Zutaten des Rezepts des Architekten La Varra für die Neugestaltung und Planung des neuen Gesichts moderner und zeitgenössischer Städte, in denen die Natur eine grundlegende Rolle spielt.